Was passiert, wenn ein Mensch, der aus Afghanistan floh, in Buchenwald von seiner Vergangenheit eingeholt wird? Und was geschieht, wenn sich die deutsche NS-Vergangenheit plötzlich mit einem aktuellen Krieg am Hindukusch verbindet? Im Zentrum der neuen Arbeit von Tine Rahel Völcker steht das Aufeinandertreffen zweier Vergangenheiten, die von extremer Gewalterfahrung geprägt sind und hier erstmals in einen Dialog treten.
Das Stipendium wird dazu dienen, die genannten Fragen theatral und diskursiv während Corona-Zeiten fruchtbar zu machen: Ausgangspunkt ist Sherdins Flucht vor Buchenwald, das heißt: die Flucht eines afghanischen Flüchtlings vor seiner eigenen Vergangenheit, die sich in Flashbacks auf dem Ettersberg plötzlich in der deutschen NS-Geschichte widerspiegelt. Zwischen Sherdin und der Autorin beginnt ein Dialog über Buchenwald und Afghanistan.
Nachdem ein gefürchteter Schmerzpunkt berührt wird und Sherdin beschließt, nicht weiter zu sprechen, jedoch beidseitig der Wunsch besteht, die politische Dimension des Dialogs zwischen Khinjan und Buchenwald öffentlich und damit hörbar zu machen, wird aus dem Dialog eine von Sherdin nunmehr aus der Ferne begleitete Recherche der Autorin über das Potential und die Grenzen des Erzählens von Gewalterlebnissen.
Sherdins Geschichte bildet den Ausgangspunkt zu einer künstlerischen Studie über die Bedingungen, die es bräuchte, um über eine schwere Vergangenheit zu sprechen. Geschichte und Traditionslinien eines feindlichen Ausländerrechts in Deutschland spielen dabei ebenso eine Rolle, wie hiesige rassistische Übergriffe und ihre nachlässige Strafverfolgung durch deutsche Behörden.
Ich werde in der Zeit des Stipendiums neben der Recherche an einem assoziativen Text schreiben. Einem Text, der neben dem Dialog zwischen Afghanistan und Buchenwald nach den Bedingungen des Sprechens und der öffentlichen Rede fragt - Gedenken eingeschlossen, Trauer, Anklage - und der am Ende in verschiedenen Formen und Medien hörbar und vermittelbar sein soll.
Credits
Foto: Cocoon Media